Zur Sittenwidrigkeit wegen anfänglicher Übersicherung
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(ip/RVR) Mit Urteil vom 19. März 2010 hat sich der BGH grundsätzlich zu Fragen der Übersicherung und den Möglichkeiten der dann eventuell erforderlich werdenden Freigabe bei Gesamt(sicherungs)grundschulden an Miteigentumsanteilen von Grundstücken beschäftigt.
Bei der Belastung eines in Miteigentum stehenden Grundstücks durch alle Miteigentümer mit einer Grundschuld entsteht eine Gesamt(sicherungs)grundschuld an den Miteigentumsanteilen (und nicht eine Einzelgrundschuld am Gesamtgrundstück), wie der BGH in Fortführung der Rechtsprechung des Reichsgerichts entschieden hat. Danach werden Miteigentumsanteile auch in dieser Hinsicht wie Grundstücke selbst behandelt.
Die Anwendung dieses Grundsatzes führt zusammen mit der Rechtsprechung des Senats für den Fall der Freigabe dazu, dass jeder Eigentümer eines Miteigentumsanteils die Löschung der Gesamtgrundschuld auf seinem Grundstück verlangen kann, wenn entweder alle anderen zustimmen oder er von allen anderen diese Zustimmung verlangen kann.
Ein solcher Löschungsanspruch ist rechtlich möglich. Der Gläubiger kann nach § 1175 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die Gesamtgrundschuld an einzelnen der mithaftenden Grundstücken mit der Folge verzichten, dass die Grundschuld an diesem Grundstück erlischt und an den übrigen weiterbesteht. Der Verzicht kann auch in der Form einer Teilfreigabe oder der Erteilung einer entsprechenden Löschungsbewilligung erfolgen. Dies gilt auch für eine Gesamtgrundschuld an Miteigentumsanteilen.
Was dem Gläubiger rechtlich möglich ist, kann auch Gegenstand eines gesetzlichen oder rechtsgeschäftlich begründeten Freigabeanspruchs sein. Das gilt nicht nur für die vollständige Freigabe eines Grundstücks oder Miteigentumsanteils. Auch eine Freigabe der mithaftenden Grundstücke oder Miteigentumsanteile in unterschiedlichem Umfang ist rechtlich möglich. Gem. § 1132 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nämlich der Gläubiger einer Gesamtgrundschuld berechtigt, den Betrag der Grundschuld auf die einzelnen Grundstücke in der Weise zu verteilen, dass jedes Grundstück nur für den zugeteilten Betrag haftet. Die Folge hiervon ist, dass die Gesamtgrundschuld in Teilgrundschulden zerfällt. Der Grundschuldgläubiger kann dem Grundstückseigentümer einen Anspruch auf eine solche Verteilung einräumen. Dieser Anspruch könnte dann auch in Form der Teillöschung geltend gemacht werden.
Im vorliegenden Fall scheiterte der Freigabeanspruch an den fehlenden Nichtigkeitsgründen. Weder lag eine anfängliche Übersicherung (§ 138 Abs. 1 BGB) vor noch war eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 BGB) gegeben.
Eine ursprüngliche Übersicherung setzt ein grobes Missverhältnis zwischen dem Sicherungswert und dem Sicherungsinteresse sowie eine verwerfliche Gesinnung des Sicherungsnehmers voraus.
Die vom BGH für Grundstückskaufverträge entwickelten Grundsätze, wonach für die Annahme eines groben Missverhältnisses genügt, dass der Kaufpreis etwa doppelt so hoch ist wie der Wert des Grundstücks und damit eine tatsächliche Vermutung für die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten besteht, finden hier keine Anwendung.
Bei einer anfänglichen Übersicherung kann es nicht darauf ankommen, welchen Nennbetrag die bestellten Grundpfandrechte bei Vertragsschluss haben. Entscheidend ist vielmehr, welcher Erlös bei Vertragsschluss aus einer Verwertung dieser Grundpfandrechte unter Berücksichtigung der Werte der belasteten Grundstücke und des Rangs der Rechte im späteren noch ungewissen Verwertungsfall zu erwarten und wie sicher dies bei Vertragsschluss zu beurteilen ist.
Ein Anspruch auf Freigabe kann jedoch im vorliegend Fall aufgrund der eingetretenen Übersicherung gem. Nr. 1.6 Abs. 1 Satz 2 der Sicherungsabrede bestehen. Danach ist der Sicherungsnehmer schon vor der vollständigen Erfüllung aller gesicherten Forderungen "auf Verlangen zur Freigabe verpflichtet, soweit sie die Grundschuld(en) nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Kreditsicherung zur Sicherung ihrer Ansprüche nicht mehr benötigt". Die Entscheidung darüber, welche von mehreren Sicherheiten freigegeben werden soll, liegt damit grundsätzlich bei dem Sicherungsgeber, nicht bei dem Sicherungsnehmer. Er kann eine anteilige Löschung der Grundschuld an beiden Miteigentumsanteilen oder eine vollständige oder teilweise Freigabe ihres Miteigentumsanteils verlangen.
Voraussetzung dafür ist aber nach dem zweiten Halbsatz der Klausel, dass eine Teillöschung der Gesamtgrundschuld auch in dieser Form den Grundsätzen ordnungsgemäßer Kreditsicherung entspricht. Ein Miteigentumsanteil an einem Grundstück kann nach §§ 1114, 1192 Abs. 1 BGB mit einer Grundschuld belastet werden und kommt daher auch für sich genommen als Sicherungsmittel in Betracht. Aus einer solchen Grundschuld kann nicht nur in den Miteigentumsanteil vollstreckt werden. Vielmehr kann der Grundpfandrechtsgläubiger den Auseinandersetzungsanspruch des Miteigentümers pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen oder durch Rechtsgeschäft erwerben und auf dieser Grundlage die Teilungsversteigerung betreiben.
BGH vom 19. März 2010, Az. V ZR 52/09
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